[AGCW] Offener Brief an DF2NU
Michael Ahlgrimm
dj9bx at t-online.de
Do Mai 18 17:24:52 EDT 2017
Lieber Rolf,
Dein Beitrag gefällt mir, aber ich weiß garnicht, worum es geht:
Du schreibst von einem Brief, den DF2NU an DK1JU geschrieben haben soll.
Du schreibst von einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung. Und Du
schreibst von einer darum entbrannten hitzigen Diskussion.
Das alles kenne ich nicht, da ich nicht ständig alle möglichen Medien
durchforste. Es wäre schön, wenn die entsprechenden Quellen auffindbar
genannt werden würden. Sonst bleibt der offene Brief nur "halboffen".
Deiner Meinung zu Entschleunigung, Unnötigkeit einer Einsteigerlizenz
und zum verzwifelten Ruf nach Nachwuchs schließe ich mich voll an. Wir
sollten über unser Hobby informieren, uns offen gegenüber Interessenten
zeigen und Hilfesuchenden Hilfe geben. Mehr ist garnicht notwendig. Wer
Lust auf mehr bekommt, der ergreift dann von sich aus die Initiative.
73 de Mike, DJ9BX
Am 18.05.2017 um 21:17 schrieb Rolf Heine:
> Meine Erwiderung bezüglich des Briefes des Chefredakteurs von Radio DARC,
> Rainer Englert, DF2NU, an OM Edi Maier, DK1JU, über dessen CW-Aktivitäten an
> prominenter Stelle in der Süddeutschen Zeitung berichtet wurde. In der Folge
> entstand im Internet eine hitzige Diskussion um den Nutzen von Beiträgen in
> der Presse über die Morsetelegrafie im Amateurfunkdienst. An dieser Diskus-
> sion, die sicher nicht ganz unwichtig ist, beteiligte sich auch OM Rainer,
> DF2NU, mit einem Brief an OM Edi. Dieser Brief wurde mir mit der Bitte zu-
> geschickt, ich möchte doch bitte die Meinung als 1. Vorsitzender der AGCW
> dazu abgeben. Das werde ich gerne in Form eines Offenen Briefes machen.
> Hier also meine Replik.
>
>
> Lieber Rainer,
>
> zunächst einmal danke ich Dir sehr herzlich für die Berichte im DARC-Radio
> über unser CW-Wochenende in Erbenhausen. Ich wende mich aber heute in einer
> anderen Sache an Dich, die mir von Mitgliedern der AGCW zugetragen wurde.
>
> Wiederholt berichten Zeitungen über die Morsetelegrafie im Amateurfunkdienst.
> Gerade erst wieder das Rüsselsheimer Echo. Ich will an dieser Stelle über den
> von der Axel-Springer-Stiftung für junge Journalisten prämierten Beitrag über
> Edi, DK1JU, abgedruckt in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung vom
> 2./3. Januar 2016, einiges zu Deiner Stellungnahme an Edi dazu antworten, der
> mir mit der Bitte um Kommentierung zugesandt wurde.
>
> Ich denke, Deine Argumente reflektieren zu sehr aus der Sicht des Modernisten
> unter uns Funkamateuren. Wobei ich unbedingt auch sagen möchte, dass Deine
> Verdienste und Dein Engagement allergrößten Respekt abnötigen und ich meine
> Zeilen auch nicht abwertend meine.
>
> Journalisten schreiben das, was Auflage bringt. Das ist ihr Job, das
> verlangt der Brötchengeber. Wenn also Journalisten zunehmend über die
> Morsetelegrafie im Amateurfunk berichten, wobei ja letztens sogar der
> benannte Beitrag über die Telegrafie aus der Süddeutschen Zeitung ganz zu
> Recht prämiert wurde, dann hat das schon seinen Grund. Die Rezipienten
> wollen das lesen, sonst würden die Zeitungen das ja nicht drucken. Als
> Medienschaffender weißt Du das. Ich möchte es noch pointierter ausdrücken:
> kaum jemand interessiert sich in der Öffentlichkeit für ein Internet 2.0 der
> Funkamateure. Sonst würden Journalisten darüber berichten. Man kann damit
> keine Leserzahlen erhöhen und man wird dafür auch keine Werbekunden finden.
> Das Business ist anders gestrickt, auch das ist Dir bekannt.
>
> Es geht um einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz und um eine umfassendere
> Betrachtung darüber, was dem Amateurfunkdienst nützt und was nicht. Damit
> sind wir beim Grundsätzlichen.
>
> Unsere Gesellschaft will mehrheitlich in der immer knapper werdenden
> Freizeit eine Entschleunigung. Das Fahrrad ist heute beliebter als je zuvor,
> da können noch so viele schnelle BMW durch die Gegend fahren. Noch nie sind
> so viele Leute Marathon gelaufen wie heute. Die Stadtläufe sind derart
> überfüllt, dass die Veranstalter sogar Absagen an Interessenten senden
> müssen. In seiner Freizeit will der durchindustriealisierte Mensch heute
> „back to the roots“, zurück zum Ursprung, sinnentleerendes Hinterherhecheln
> hinter immer neuen Entwicklungen vergessen und stattdessen seine ganz
> persönlichen Fähigkeiten entdecken und zur Geltung bringen.
>
> Und da sind wir jetzt bei der Morsetelegrafie.
>
> CW verlangt dem Funkamateur heute wie damals große Mühen beim Erlernen ab.
> Die Funkverbindung wird mit CW aufs Wesentliche reduziert. Das eigene Können
> und nicht etwa eine vom User unverstandene Software entscheidet über Erfolg
> oder Misserfolg. Die Morsetelegrafie ist nicht nur Tradition, sie wird schon
> gar nicht von „tattrigen Rentnern“ (O-Ton DL4NO) betrieben sondern sie ist
> insbesondere aus der Sicht der Öffentlichkeit ganz sicher sinnstiftend für
> den Amateurfunkdienst in Deutschland. Sinnstiftendes trägt immer auch zur
> Legitimation bei. Auch das müssen wir Funkamateure im Blick haben, wenn wir
> über die Rechtfertigung unseres Frequenzbedarfs argumentieren.
>
> Ein großer Fehler wäre zu meinen, man müsse nun alles daransetzen die Jugend
> für sich zu gewinnen, um nur ja genug Nachwuchs zu rekrutieren. Das ist ein
> falscher Ansatz. Unsere Gesellschaft hat heute einen großen Schatz der
> gehoben werden will: hochbegabte, gebildete und finanzkräftige Senioren, für
> die der Amateurfunk geradezu eine ideale Freizeitbeschäftigung darstellt.
> Wir vergeuden mit unseren zweifelhaften Bemühungen um eine Absenkung von
> Prüfungsstandards und den Verirrungen bei der Verquickung von kommerziellem
> Internet und Funkbetrieb wertvolle Ressourcen. Der fast schon verzweifelt
> anmutende Ruf nach „Nachwuchs“ reduziert die Zukunft des Amateurfunks auf
> junge Menschen. Das ist ganz falsch. Das Gegenteil ist richtig.
>
> Ohne die Mühen der Funkamateure wäre das Weltkulturerbe Morsetelegrafie
> möglicherweise bereits mittelfristig sogar vom Aussterben bedroht. Die
> Funkamateure aber senden ihre Morsezeichen weiterhin weltweit, sie benötigen
> dafür nur einfache Technik, sie werden überall verstanden und CW verbindet
> heute hunderttausende Funkamateure international. Ich höre in meinem
> DMR-Funkgerät jedoch andererseits nichts von dem, was den Amateurfunk
> wirklich ausmacht. Es ist Technik um ihrer selbst Willen, gemacht von
> Leuten, die ihre berufliche Erfahrung einbringen um sich dann darin zu
> sonnen, ohne diese dem Nutzer auch nur ansatzweise vermitteln zu können. Es
> braucht heute ausschweifende Kurse über die Fütterung wirklich simpler
> Codeplugs für DMR-Funkgeräte aus dem kommerziellen Bereich, deren Nutzen für
> den Amateurfunk ganz und gar zweifelhaft ist. Immerhin werden Frequenzen
> belegt. Viel mehr aber auch nicht.
>
> Noch ein Beispiel. Ich betreibe sehr gerne auch Satellitenbetrieb. Und auch
> da kommt, diesmal ganz praktisch, die Morsetelegrafie ins Spiel. Denn bei
> einem 20dB-Vorteil gegenüber SSB und geringer Bandbreite, sind so die
> interessantesten Verbindungen möglich. Meine schönste Verbindung war die vor
> zwei Jahren über AMSAT-OSCAR 7 in Morsetelegrafie, mit einfachem Dipol und
> 50 Watt aus einem FT-847 über den Atlantik in die USA. Hier zeigt sich der
> praktische Nutzen der Telegrafie, jenseits jeglicher Nostalgie.
>
> Du hast geschrieben, die Zukunft des Amateurfunks sei digital. Nein, das ist
> sie nicht. Sie ist bunt, mit einem sehr farbenfrohen Klecks CW. Erinnere
> Dich an die Anfänge von Packet-Radio. Es sollte die Zukunft sein. Der
> Abgesang auf den analogen Amateurfunk wurde eingeleitet. Doch was ist davon
> geblieben? Die Digimodes kommen und gehen, aber die Morsetelegrafie bleibt.
> Das zeigen auch die stetig steigenden Mitgliederzahlen der CW-Clubs,
> insbesondere der internationalen Clubs FISTS oder CWOP. Die Auswertung
> unserer Mitgliederdatei der AGCW-DL zeigt übrigens, dass wir durchaus kein
> überalteter Verein sind. In den USA geht gerade ein regelrechter CW-Hype
> los. Dort lernen immer mehr Funkamateure Telegrafie, weil sie eben
> dazugehören wollen. Der behördliche Zwang von früher weicht einer Lust am
> eigenen Können. Der Morsetelegrafie im Amateurfunk steht daher eine gute
> Zukunft bevor. Funktionstastendrückerei und Kopieren von Codeplugs kann da
> nicht mithalten.
>
> Wenn manche Verantwortliche des DARC nun trotzdem der Ansicht sind, man
> müsse nur in Konkurrenz treten zum Internet, dann würde sich schon Nachwuchs
> für den Amateurfunk begeistern, so ist das wie das Pfeifen im Walde. Niemals
> werden Funkamateure auch nur ansatzweise mit ihren äußerst begrenzten
> finanziellen und materiellen Möglichkeiten so mehr erreichen, als höchstens
> kleine, kaum wahrnehmbare Achtungserfolge. Was in Deutschland vielleicht
> noch Ansätze bleiben, wird andernorts völlig ausbleiben. Den Wettkampf mit
> Whatsapp und Facebook um die jungen Leute mit einem in weiten Teilen der
> Republik kaum erreichbaren Hamnet führen zu wollen, das ist ungefähr so
> sinnvoll, wie einen Papierflieger in Konkurrenz zu setzen mit einer Mond-
> rakete. Und weil diese Ansätze nicht funktionieren, müssen kommerzielle
> Datennetze als Ersatz für die Ionosphäre her? Was ist daran eigentlich noch
> Amateurfunk? Einige wenige Spezialisten können sich hier austoben. Mehr
> nicht. Der große Rest probiert diese neuen Möglichkeiten vielleicht auch
> einmal aus – bis es zu langweilig wird.
>
> Wenn also Zeitungen über CW-Funkamateure berichten, die mit sagenhaft ein-
> fachem Equipment in einer Welt voller modernster Technologie nur durch eigenes
> Beherrschen der Morsetelegrafie weltweit Funkverbindungen herstellen, so ist
> eben das Interesse der Leser geweckt. Das wissen Journalisten und Redaktionen.
> Morsetelegrafie ist halt auch so eine Art Entertainment, die wieder zunehmend
> Menschen begeistert. Persönliche Anstregung und Einfachheit, das ist in unserer
> Gesellschaft en vogue. CW ist und bleibt aus diesem einfachen Grund auch in
> Zukunft die Königin unter den Disziplinen im Amateurfunk – nicht nur, weil es
> um das öffentliche Ansehen geht.
>
> Und genau deshalb berichten Journalisten eben auch darüber.
>
> 73, Rolf Heine
> DL6ZB
> 1. Vorsitzender AGCW-DL e.V.
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